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Zirkuswagen für den Unterricht (veröffentlicht am Di, 16. Oktober 2018 um 17:53 Uhr auf badische-zeitung.de)

 

 

Zirkuswagen für den Unterricht

Von Peter Stellmach, Badische Zeitung Titisee-Neustadt

Di, 16. Oktober 2018 um 17:53 Uhr

Titisee-Neustadt

Einen alten Zirkuswagen aus Leipzig will die Neustädter Hansjakobschule restaurieren. Dann hätte sie 30 Quadratmeter mehr Platz für Unterrichtszwecke.

Der Zirkuswagen rollt auf den Schulhof. | Foto: Peter Stellmach
Foto: Peter Stellmach

 

 

TITISEE-NEUSTADT. Einer Tribüne gleicht der Hof der Hansjakobschule am Dienstag. Alle Klassen dürfen draußen zuschauen, wie Markus Reiner am Steuer des Bauhofunimogs rückwärtsfahrend die neue Attraktion auf das Gelände zirkelt. Allzu naseweise Kinder werden von einem Lehrer zurückgehalten: „Hinter der weißen Linie bleiben!“ Der zehn Meter lange Zirkuswagen steht jetzt mit der hinteren Tür zum Haupteingang des Schulhauses, denn das Gefährt wird einmal als Erweiterung der Grundschule dienen.

„In der einen Schule wird in Containern unterrichtet, in der anderen im Zirkuswagen“, bemerkt die Mutter eines Kindes, und man weiß nicht so recht, ob sie das im Scherz meint. Rektor Stefan Lotze jedenfalls ist glücklich über die neuen Lernmöglichkeiten, die sich nach einer gründlichen Restaurierung bieten sollen. Drei Abteile als Räume für verschiedenste Zwecke. 30 Quadratmeter zusätzlicher Platz – das ist ein Wort, wenn man unter beengten Verhältnissen lehrt und lernt.

Die Erneuerung wird ihre Zeit dauern. Denn „der Wagen ist nicht schön, das müssen wir den Kindern noch beibringen“, sagt Lotze und beschreibt den Zustand als „ratzefertig“. Tatsächlich klaffen Löcher im Boden und in den Wänden. Wie es unter der Plane aussieht, die das gewölbte Dach überzieht, muss sich noch zeigen. Die Fensterrahmen sind marode, Türen sind eingebaut, die gewiss aus einer anderen Zeit als dem Baujahr stammen. Auch im Innern ist viel ramponiert. Der weiße Lack der hölzernen Außenhaut ist vergraut und brüchig, man sieht, dass der Wagen lange vermutlich im Freien gestanden hat.

Wie lange schon, weiß Lotze nicht. Ihm ist nur bekannt, dass der Wagen nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut worden sein dürfte. Er steht für einen Abschnitt Geschichte, denn der Leipziger Händler, von dem ihn Lotze gekauft hat, erkannte nach der Wende, dass es ein Geschäft sein könnte, Zirkuswagen der pleitegegangenen DDR-Zirkusse vor der Verschrottung zu bewahren. Er sammelte, was zu bekommen war, verkaufte sie teils in dem Zustand wieder oder baute sie aus und suchte dann Abnehmer. Viele Kunden hat er unter Wagenburglern.

Die Spedition fährt 50 Transporte jährlich

Die Oldtimer scheinen recht begehrt zu sein. Die Spedition aus dem Erzgebirge, die den Zirkuswagen für die Hansjakobschule auf einem Tiefbett-Tieflader nach Neustadt brachte, liefert jährlich ungefähr 50 Wagen aus, weiß Fahrer Markus Kliemenz. „Fast in alle Welt“ und manchmal auf Wiesen und in Wälder sowie an Standplätze, „wo man meint, hier ist die Welt zu Ende“. Kliemenz bewältigte die 530 Kilometer in Etappen in neun Stunden. Ob der Transport Aufsehen erregt hat? Der Sachse weiß es nicht, für ihn war es eine Überführung wie alle anderen, in der Regel sind das Baumaschinen.

Welcher Zirkus oder wie viele Zirkusse mögen den Wagen genutzt haben? Nirgendwo schimmert eine Aufschrift durch. Lotze stieß im Internet auf den Leipziger Händler und war auch selbst bei ihm. Seine Wahl war ursprünglich eine andere, aber als es um die geplante Nutzung ging, machte der Verkäufer den Neustädter Rektor auf ein besonderes Modell aufmerksam: Einen verlängerten Wagen, aus zwei kleinen zusammengeschweißt und in drei Abteile gegliedert. Lotze schloss das Geschäft ab, Kostenpunkt 5000 Euro. Das Geld kommt aus dem Schuletat und der Förderverein hilft.

Die Runderneuerung des Zirkuswagens („Eher Basilieschmiede als ein Haus aus den 70er-Jahren“) wird nach Lotzes Einschätzung ein bis zwei Jahre beanspruchen. Der Wagen soll für Differenzierungsunterricht, für Inklusion, für Gespräche, Betreuung und mehr hergerichtet werden. Er soll außerdem als mobiles Klassenzimmer auch mal irgendwo in der Stadt einen Halt einlegen können. Dazu hat der Rektor noch eine besondere pädagogische Idee. Denn die Wiederherstellung braucht Handwerker: Fahrzeugmechaniker, Zimmerleute, Schreiner, Dachdecker, Elektriker, Fensterbauer, Bodenleger, Maler. Die Kinder werden also in den Unterrichtspausen zuschauen und dabei lernen können, was Handfertigkeit zustande bringt – Wissen, das die Grundschule vermittelt, gleichzeitig Werbung für die traditionellen Berufe.

Die Handwerker werden aber auch aus den vier Grundschulklassen kommen. Künstlerin Michaela Tröscher begleitet das Projekt und erarbeitet mit den Jungen und Mädchen Ideen für die Gestaltung der Villa Kunterbunt.